... Kathi räkelt sich. Ihre Haare riechen nach Lachen und Regen und im Regen immer weiter Laufen. "Pascal ist echt ein geiler Typ, oder?" Sie kichert, hell und aufgekratzt. Der echt so geile Pascal habe einen Einser-Schnitt, können den Kilometer unter drei Minuten laufen und ein hervorragender Salsa-Tänzer sei er obendrauf. Pascal ist sowas wie ein getunter BMW X5, Sechsgangschaltung. Kathi kichert, laut und schrill, wie das Pinkkostüum am Nebentisch, das sein iPhone befingert, als wäre es ein Türschloss und dahinter die Welt.
Hass, durchatmen, Kathis Lächeln. Schweben können, das wäre es jetzt, einfach nur schweben können. Eine kühle Sommerbrise weht durch die Münchner Freiheut, bringt den Duft mit vom Englischen Garten. Kathi lächelt. Ich lächle zurück. In ihren grünschimmernden Augen spiegeln sich sanft die grellen Lichter, als könnten ihre Augen alle Wucht aus den Dingen nehmen, die nächtliche, lärmende Schönheit dieser Stadt abdämpfen und auf meinen Level hinabstufen, dass ich es auch hören kann, diese stille Musik in dem dunklen, weiß-blauen Himmer über uns... Kurzgeschichtenanthologie Der Glanz von M. Auszug Kurzgeschichte "Schweben". Piper Verlag 2011
"Hey, warum lachst du", wow, das ist ihre Begrüßung, wenn sie jetzt noch sagt "es ist schön dich wiederzusehen", dann kotz ich oder trete hier der Canasta-Runde bei. Ich höre auf zu lachen, sehe sie an und sie sieht nur zurück, und ich wünschte mir, sie würde scheiße aussehen, rasierter Kopf, oder wenigstens einen Nasenring, einen riesigen, das wäre okay, dann würde ich jetzt vielleicht sogar mit ihr reden können, sowas Dämliches sagen wie "Was ist denn mit dir passiert?" oder "Wie hat es denn soweit kommen können?", aber sie sieht richtig gut, wie das Bild in meinem Kopf, das am längsten gebraucht hat, um zu verschwinden, Unterhüfthose, Kapuzenpulli, die Kapuze nur halb über den HInterkopf geschoben, dir rötlichen Haare vor sich her schiebend, ganz in die Stirn und halb in die Augen fallend, und ich denke daran, wie sie in diese Kapuze Rotz und Wasser geheult hatte, ihr Vater war gestorben und sie zog die Schnüre der Kapuze so fest, dass ihr Gesicht nur noch ein roter zugezogener Kreis war, und sie zappelte in meinen Armen wie ein hilfloser Krebs, dem man den Schalenpanzer verklebt hatte,
Ich denke jetzt nicht mehr, ich spreche. Das Aufnahmegerät knackt beim Einschalten. "Liebe Hörer! Vor dem Mikrophon habe ich hier die Geliebte des Bombenlegers. Ein Exklusiv-Interview. Aus erster Hand die brandheißesten Intimsten Informationen."
Sie reißt die Augen auf. Sie reißt sonst nie die Augen auf. Sie hat die traurigsten Augen auf der Welt, aber auch die schönsten. So eine Scheiße denke ich jetzt. Egal, wird wieder vergessen, irgenwann. Ich halte das Mikro tief in ihr Gesicht. Ihre Augen sind dunkelbraun.
"Bist du bescheuert? Hast du mir nicht mehr zu sagen nach all den Jahren?"
Habe ich nicht. Ich schalte das Band ab, dann gehe ich. Das Letzte, das ich hinter mir höre, ist das aufgeregte Quieken des Hausmeister: "Ach, sie kennen sich?"
Kurzgeschichtenanthologie Geschichten + Gerichte, Auszug: München, letzte Ampel vor Jesolo. Dölling & Galitz Verlag 2008
... Mein Gesicht sieht nicht gut aus. Verbeult irgendwie. Es ist immer noch dasselbe, aber die Proportionen stimmen nicht mehr, wie bei einem Pullover, den man zu heiß gewaschen hat, aus dem Trockner zieht und denkt, okay, es ist immer noch mein Pullover, aber gut aussehen, nein, das werde ich in dem Ding nicht mehr.
Das Dorf interessiert mich nicht. Fachwerkhäuser, saubere, gerade Straßen, wenige, fast leer, überall der Geschmack von Kuhscheiße von dahinter, als wären das alles hier nur Fassaden, Zivilisation, heute, modern, dahinter die richtige Welt, Düngerkacke.
Ich halte mich an die Fassaden, weil das leichter geht, hangle mich von Schaufenster zu Schaufenster, und mein Gesicht wird nicht besser von Schaufenster zu Schaufenster, es bleibt gleich, gleich falsch und verbeult und dasselbe. Vor dem letzten Schaufenster bleibe ich stehen. Mein verbeultes Gesicht lächelt. Die Ecke eines Schneidezahns ist weggebrochen. Gut so. Spiegelbilder verheimlichen dir nichts, das ist mal ein Anfang, daran kann man sich halten. Hinter meinem Spiegelbild grinst mich ein nacktes Homöopathiesalben-Model an. Man kann ihre Brustwarzen nicht sehen. Damit beschäftigen sich Werbe-Fuzzis heutzutage, nein, fast die ganze Menschheit beschäftigt sich mit nichts anderem, wie man ein gestörtes Model auf einem noch gestörterem Stück Glanzpappe sich so verrenken lassen kann, dass man zwar nackte Haut sieht, aber sonst nichts.
So etwas in der Art war auch mein Job, geil und nichts. Nur halt mit Worten. Geil werden und werden lassen, nur nicht zu sehr, damit man geil bleibt. Das ist New Economy...